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Desmosedici RR Test


Ben

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Unheimliche Begegnung

Ducati hat das getan, was die anderen immer nur versprechen: Sie haben eine straßenzugelassene Variante ihrer 990er GP-Maschine gebaut, die Desmosedici RR. Als Ducati zur ersten fünf-Runden-Fahrt einlädt, schickt MO den größten Bruchpiloten der Redaktion.

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Mir wurde nach meinen ausgiebigen Navi-Tests (siehe MO 9) unterstellt, meine Kartenlese- und Wegfindungsfähigkeiten durch solche Prothesen verkümmern zu lassen. Um es allen diesen Nörglern zu zeigen, und weil ich außerdem keine Karten hatte, fuhr ich zu dieser Ducati-Präsentation einfach den Kompass-Atomen im Testosteron nach. Höchstens die holde Weiblichkeit hätte dazwischenfunken können, aber mal ehrlich: Das hätte schon eine ziemlich außerirdische Frau sein müssen, um die Peilung auf sowas wie die Desmosedici RR zu stören, ein Motorrad, in dem so viel Handarbeit und vor allem Herzblut steckt, dass man fast erwartet, rotes statt schwarzes Öl in ihrem Inneren pulsieren zu sehen.

Für die Probefahrt hatten die Ducati-Planer das Autodromo in Misano an der Adria auserkoren. Stoner war da, Capirossi war da, ich war da. Ich wollte schon immer mal im selben Satz wie die GP-Helden genannt werden, und weil das sonst niemand täte, mache ich es eben selbst. Leider hatte ich vergessen, wie gern mich Regenwolken haben, dass sie mir überallhin folgen, wo ich ein Motorrad fahre und reiste auf der F 800 an. Pünktlich zu den geplanten Turns goss es also wie aus Eimern, ein Sturm schmiss die Ducati-Aufbauten durch die Gegend und verseuchte die Strecke mit Schlick. Nennt mich Rainman. Die Motorräder blieben bei diesen Bedingungen jedenfalls im Stall. In einer anderen Motorradzeitschrift schrieb ein Kollege, dass Petrus ja mal generell einen Scheißtag hatte. Ich weiß es besser: Es ist persönlich gemeint. Maik fragt schon gar nicht mehr, ob es bei mir geregnet hat, sondern erkundigt sich nur noch nach Niederschlagstemperatur und eventuellen Begleitkatastrophen wie Erdbeben (siehe Portugal im Frühjahr). Also Petrus, du alter Sack, wenn du das hier liest, dann ruf mich doch mal an und wir klären das. Ansonsten setze ich demnächst einen Kontrakt auf dich aus.

Statt also selbst zu fahren, lauschte die Journo-Meute Casey und Loris, die beide pflichteifrig versicherten, dass die neue Desmo16 wirklich eine richtige Rennmaschine ist, mit der sie (geschätzt) bloß sechs bis acht Sekunden langsamer seien als auf ihren Werksrennern. Wenigstens ein Probesitzen und vor allem -hören fand in der Box statt. Der Motor ist zwar ein V4, brabbelt und röhrt wegen seiner Zündfolge jedoch erstaunlich in Richtung Zweizylinder. Wie bei der Bigbang-Zündfolge eines Reihenvierers legt Ducati mit ihrer "Twinpulse" genannten Sequenz die Zündzeitpunkte etwas enger zusammen und macht dann eine Pause, in der die Reifen sich entspannen dürfen, damit sie anschließend wieder erfrischt greifen. Man tauscht also ein wenig potenzielle Spitzenleistung gegen bessere Traktion und Fahrbarkeit ein, analog zur MotoGP-Technik der 990er. Spitzenleistung ist nämlich auch so genug vorhanden: 188 PS straßenzugelassen mit Euro III, 200 PS mit der im Preis enthaltenen Rennauspuffanlage samt passenden Mappings.

Die große 2 ist gut für den Stammtisch, aber viel beeindruckender ist eigentlich die Konsequenz, mit der die zwei "R" durchs ganze Motorrad gehen: Komplettverkleidung aus handlaminiertem Carbon inklusive selbsttragendem Carbon-Heck, eine unter Gasdruck stehende Gabel vorne (6 bar, soll für geringere Losbrechmomente und folglich besseres Ansprechen sorgen), ein Federbein mit automatischem Dämpferöltemperaturausgleich hinten (beides von Öhlins), Hebeleien mit Gelenk für Stürze, Moosgummisitz, eigens konstruierte Bridgestone-Reifen und ein Port fürs Data-Recording wie bei der 1098 S. Mehr "Race Ready" gibt es nirgends in Serie.

Das sagt aber noch gar nichts darüber aus, wie das Ding denn nun fährt. Ich wollte nicht nochmal diese hängenden Köpfe der Mannen in rot sehen, daher stieg ich zum Ausweichtermin in Mugello auf Maiks Anraten ins Auto, da können mich Petrus und seine Wolken nämlich von oben nicht sehen. Man muss ein Auto nicht die ganze Zeit betanken, richtet es einfach grob in die gewünschte Richtung aus, wählt die Geschwindigkeit und hört dann kaffeetrinkend Radio. Die richtige Entscheidung: In Mugello steht keine Wolke am Himmel, ich bin eine halbe Stunde zu früh dran und renne einfach ein paar roten Leuten in eine Box hinterher, um frech Espresso und ein Glas Wasser für meine Schmerztablette (Zahnschmerzen) zu bestellen. Hier wird offenbar ein ziemlicher Aufwand für die Präsentation betrieben: Alles steht voller Rechner, an den Schirmen stehen Kennfelder, Rundenzeiten und Telemetrie-Daten. Man kümmert sich sehr zuvorkommend um mich und meinen defekten Zahn. Nur sage ich Depp dann das Falsche: "Desmosedici". Oh. Hier ist nämlich die MotoGP-Box. Hätte ich einfach die Fresse gehalten, hätte ich -- Dreistigkeit siegt immer -- wahrscheinlich mit derselben selbstverständlichen Attitüde wie beim Kaffee einen Ritt auf der GP7 abstauben können. So aber schicken sie mich ein paar Boxen zur Präsentation weiter, wo man mich entsetzt vorerst des Platzes verweist, weil doch alles geheim ist, was die Kaffee-Kellner gerade außer Kaffee machen.

Ich drehe eine kleine Café-Runde und betanke mich weiter mit italienischen Bohnenaufgüssen. Schon nach acht Kaffee bin ich außergewöhnlich nervös. Muss an der Fahr-Vorfreude liegen. Pünktlich mit den anderen geladenen Gästen stehe ich später erneut zum Fahren an und trinke Espresso. Pressemann Massimo sieht mich vibrieren und erkundigt sich besorgt, ob ich schonmal Mugello gefahren bin. Nein, Massimo, aber die Gegend ist echt schön. Das scheint ihn nicht zu beruhigen: "Please, take it easy, OK?" Ganz ruhig, Mann, ich bin Profi. Er nickt und geht. Gut, dass er nicht gefragt hat, in was ich Profi bin. Dann hätte ich nämlich "Motorrad-Weitwurf" antworten müssen. Es gibt einen kleinen Interessenkonflikt. Für die Leser müsste ich das Motorrad bis an die Grenzen meines Könnens fahren, um ihnen möglichst viel sagen zu können. Für Ducati müsste ich das Motorrad ganz lassen, aber gut finden. Für meinen Chef soll ich "nicht so schräg fahren", was ich schon immer eine seltsame Weisung für einen Testfahrer fand, und am besten minimalen Verschleiß an Stiefelabrieb vorweisen, denn: "das kost' alles Geld". Egoistisch entscheide ich mich für meine eigenen Interessen: Letztes Jahr hatte ich wegen zwei Crashes Rennstreckenverbot, und weil ich weiterhin fahren will (eine geworfene Desmo16 ist bestimmt drei bis fünf normale Mopeten wert), werde ich einfach nichts riskieren. Da, ich habs zugegeben. Verklagt mich, ich hab jetzt eh Urlaub.

Diese selbstkasteiende Entscheidung hinter mir mache ich mich im Gartenstuhl breit, setze die Sonnenbrille auf und den nächsten Kaffee an. Massimo kommt vorbei: "Hey Clemens, are you ready? This one is for you." Ich gucke über den Sonnenbrillenrand. Da steht ein Boxenmann, der mir eine Desmosedici hält, als wär sie eine Rennmaschine und ich ein Rennfahrer. Oouh ja... Ein Zweiter zupft am Gas. Wie die brüllt! Das ist ... obszön! Ich mag obszön. Aufsitzen. Passt (mir) perfekt. Die Kupplung greift hart ein, wie sich das gehört, damit man beim Rennstart aus den Pötten kommt. Ein Kollege würgt sie später gleich beim Anfahren ab deswegen. Der Motor läuft überraschend kultiviert, trotz dicker Leistung muss man vielleicht Respekt, aber keine Angst haben. Über den Hügel, erste Kurve. Runterschalten. Der Kupplungshebel pulsiert, als die Slipper-Kupplung ihren Dienst tut. Beim Einbiegen in diese erste Kurve zeigt die Desmosedici schon, dass Ducati ihr keine Marketing-Placebos, sondern echte Renner-Eigenschaften gegeben hat: Das ultrasteife Fahrwerk hat gefühlt null Flex, die Reifen haben eine Karkasse wie Rennreifen und sind dementsprechend exakt, aber auch härter. Lässt man das Motorrad auf der Bremse (Monobloc-Brembos aus der 1098) in die Kurve hineinlaufen, muss man es mit deutlich mehr Kraft unten halten, als das auf Straßenreifen der Fall ist. Beim Hinausfahren und beim suboptimalen in-der-Kurve-Gas-lupfen, weil mir die Strecke unbekannt ist, zeigen sich nochmal die Manieren des Motors: Er bleibt vorhersehbar, kontrollierbar, produziert keine fiesen Lastwechsel. Und das ohne doppelte Drosselklappen, ohne Drive-by-wire, ohne nachträgliche Symptomkur per Software. Ducati konnte schon immer tolle Sportmotoren bauen.

Das Fahrwerk stellt mich vor echte Probleme im Hinblick auf meine vorhergehende Entscheidung, nur im absoluten Failsafe-Mode zu fahren. Es schreit mich unentwegt an: "So geht das nicht! Du musst viel schneller umlegen, du musst viel schneller ins Eck, die seitliche Drift erledigt dann die Bremsarbeit! Du musst mich einfach machen lassen, und dazu musst du rechts viel mehr an diesem Griff drehen! AAAaarg! So kann ich nicht arbeiten!" Die Exaktheit von Fahrwerken wird ja gern mit Schneidegeräten verglichen. Ich bin in letzter Zeit viel F 800 gefahren, das ist so ein Butter- oder Fischmesser. Aus Weichplastik. Dann bin ich mal wieder Fireblade gefahren, und dachte: "Ah, so fühlt sich also ein Fahrwerk an! Ganz vergessen..." Das wäre dann ein Katana. Die Desmosedici ist in diesem Vergleich der Lasercutter: mikrometerexakt, diffizil in der Bedienung und schlecht geeignet für Brot und Butter. Was man damit außer Posen auf der Landstraße will, ist mir ein Rätsel.

Irgendwann hört das Fahrwerk auf zu schreien und schluchzt nur noch kaum hörbar vor sich hin. Ich möchte dasselbe tun, als ich wieder in die Box rolle. Massimo sieht mein Gesicht und fragt sofort: "What's wrong? Are you tired?" No, I just took it easy. Und ich gehe. Denn die Wahrheit ist: Ich habs versaut. Ich hatte die einmalige Gelegenheit einer kurzen, heißen Affäre mit dem geilsten Krad, das je in Serie gebaut wurde, und was tue ich? Ich verschwende die knappe Zeit mit dem metaphorischen Äquivalent zu Gutmenschgesprächen über Verhütung, statt es einfach laufen zu lassen und scheiß auf die Konsequenzen. Beim Packen zieht mich ein Kollege auf, weil ich nicht gepusht habe, weil ich, wie er sich ausdrückte, "gekniffen" habe. Ich hasse ihn dafür, dass er recht hat. Zumindest, liebe Desmosedici, habe ich etwas gelernt (vergessen werde ich dich sowieso nie): Ich werde nie mehr lauwarm Blümchen pflücken, wenn mir jemand geniales Fahrmaterial unter den Arsch schiebt. Versprochen. Wenn ich mir dann woanders einen Job suchen muss, kann ich das zumindest mit Selbstrespekt tun und dabei Frank Sinatra singen: "I did it my way." Und ich gebe die Hoffnung wider alle Wahrscheinlichkeit nicht auf, dass wir uns auf diesem Weg irgendwann noch einmal begegnen. Bis dann.

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Quelle: http://www.mnviecher.net/artikel/d16rrtext.html

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